Aussage 2017

Nichts ist also klar; alles ist verdeckt,
absurd sein lautet die Devise;
Gibt es dafür nicht einen Namen?
Eine kleine Stilfrage!

Normal

Als libertärer Erkenntnisagent und Systemlaborant nach Proudhon, Godwin und Ward (–> beachte auch Gibson und Barlow) pflege ich als Standardantwort den Satz von Oscar Wilde: „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.“ Das muss ich freilich auch für mich gelten lassen.

Die Tatsache allein, dass ich nicht den Mund halte, soll im Modus tollens bedeuten, dass ich etwas zu sagen habe. Sollte das zutreffen, möchte ich mein Gegenüber aber nicht anbrüllen. Ich möchte ihn (Sie) in einen Raum führen, in dem geflüstert, nichts Konkretes gesprochen und kaum Glaubwürdiges dargelegt wird, wo sogar Lüge und Betrug ganz ohne Ironie auftreten. Und Sie sollen es sehen. Ich will kleine Symbole mit einen Twist schaffen, mit doppel- oder mehrdeutige Botschaften, wenn überhaupt, vielleicht auch nur über den Titel meiner Bilder. Man soll nicht nur sondern muss darüber nachdenken. Die Bilder dürfen auch Humor enthalten, der muss allerdings schal schmecken. Und es soll dem Betrachter doch relevant vorkommen, ja wichtig sogar.

Bei der Bemühung, das auf einen Punkt zu bringen, bin ich auf einen Begriff gestoßen, der trifft:

Hypernormal

Hypernormalität kann das nie existierende, unbegrenzt vieldeutige Mittelmaß oder eine gefangen nehmende Parallelwelt, sein. Das ist assoziativ abgeleitet. So ist Hypernormalität z.B. ein gesellschaftlicher Aspekt kommunistischer Politik in der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten der 70er und 80er Jahre gewesen und beschreibt einen irrationalen Zustand des Wissen über und des eigenen Verhaltens in eben diesen Gesellschaften, Fake-Gesellschaft.

Es gibt medizinische Aspekte: „Es ist aufgefallen, dass psychosomatische Patienten gesellschaftlich sehr „angepasst“ sind, was auch als „Hypernormalität“ beschrieben worden ist. Ihre Objektbeziehungen sind auf die Realpräsenz des Partners bezogen, und strahlen eine eigentümliche „Beziehungsleere“ aus. Aufgrund mangelnder Ausdifferenzierung der psychischen Struktur seien diese Patienten nicht in der Lage, bleibende Indifikationen vorzunehmen; sie bleiben auf die konkret-gegenständliche Verfügbarkeit des Objektes angewiesen.“ (Walter Bräutigam, Paul Christian, Michael von Rad, 2010, Psychosomatische Medizin)

„Hypernormalität würde eine Tendenz benennen, in welcher der Imperativ der andauernden Selbst-Optimierung als Selbst-Überbietung dazu führt, dass das Subjekt nur durch Eingriffe an Körper und Psyche (Psychopharmaka) in der Lage ist, die zur Regel gewordenen oberen Ausnahmestandards zu erfüllen.“ (Michael Cuntz 2007, nach Baudrillard).

Nutzt man nun zur Bestimmung statt der Assoziation die Bisoziation kommen weitere unterschiedliche Bereiche zum Tragen, etwa kulturrelevante: „Hypernormalität ist in literarischer Hinsicht Normalitätsaspekte zu durchbrechen und die Grenzen des Normalen weiter in Richtung Überbietung auszudehnen.“ (Silke Horstkotte, Leonhard Herrmann 2000, Poetiken der Gegenwart)

Adam Curtis erklärt in seinem sehenswerten BBC-Filmessay „HyperNormalisation“ die postfaktische Ära und einen weiterreichenden Aspekt dieses Zustands. (Link: https://www.youtube.com/watch?v=-fny99f8amM)

Intelligenz und Kreativität gehören nachgewiesener maßen zwingend zusammen, auch wenn daraus eine anarchistische Weltanschauungen entspringt. Es lauert die Gefahr, Gefangen zu sein im eigenen Anspruch. Hypernormalität gilt in Zeiten des [vor einem | als Indikator für einen] Systemwechsel[s].

Als bildender Künstler ist es schwierig und aufwendig, obiges in Bildern zu formalisieren. Sprachlich wäre es doch recht einfach nieder zuschreiben. Ich will mich bemühen, noch habe ich mich nicht gefunden, vielleicht ist das ein Weg. Im o.g. Sinne sind meine Bilder also nicht realistisch sondern normal, hypernormal; trauen sie ihnen nicht.

Jens H. Westermann, 2017.